O Wunder: Gegenüber dem Virus bleibt die Ökonomie für einmal leise

Sonst erfüllt die Politik blind alle Wünsche der Schweizer Firmen. Ein Plädoyer für die Trennung von Staat und Wirtschaft – mit Primat Politik. Säkularisierung bedeutet für westliche Gesellschaften historisch die zunehmende Verweltlichung respektive Loslösung des Menschen von der Religion im Zuge des Humanismus und der Aufklärung. Im späteren und engeren Sinne die Trennung von Kirche und Staat. Ein Zustand, den wir heute als Voraussetzung für Demokratie zurecht voraussetzen. Was wir ausblenden: Das damit an die Macht gekommene Bürgertum etablierte eine andere, neue Bindung, die dem Staat neue, aber ebenso wirksame Fesseln umlegte: die der Ökonomie. Und der Fetisch-Charakter dieser neuen Abhängigkeit trägt immer absurdere Züge, die unübersehbar an den früheren Religionseifer erinnern. Nicht zufällig werden die Börsennachrichten gebetsmühlenartig vor dem «Rendez-vous am Mittag» und damit vor der versammelten Familie um den Mittagstisch zelebriert. Sinkende Kurse sind der Ausdruck verstimmter Anleger, die wie einst verärgerte Götter ein schlechtes Gewissen hinterlassen und zur Besserung mahnen. Sinken Wachstumsaussichten um 1% auf noch gerade 2.5%, darf der Teufel ungeniert an die Wand gemalt werden und ausnahmsweise der Wirtschaftsmotor China in unsere Gebete miteingeschlossen werden. Was nötig wäre: Eine neue Bewegung wie die Aufklärung beziehungsweise Säkularisierung, die diesmal nicht den Staat von der Religion, sondern von der Ökonomie trennt. Wie wir dieses Zeitalter einst bezeichnen werden: keine Ahnung. Denn in den westlichen Staaten hat die Wirtschaft die Politik quasi in Haft genommen. Am deutlichsten natürlich in den USA. Nehmen Sie den dortigen Wahlkampf und den Ein- und Ausstieg von Michael Bloomberg: Wirtschaftsführer und Lobbyisten lassen sich direkt … → Weiterlesen

Der Umbau wird die Arbeitswelt verändern

Ohne Abkehr vom Wachstum gibt es keine Klimaneutralität, sagt Ökonomin Irmi Seidl. Es brauche eine Änderung der Anreize bei Verkehr und Landwirtschaft. Und ein neues Verständnis von Arbeit. Bernhard Ott, Redaktor bei der Zeitung «Der Bund», sprach mit Prof. Dr. Irmi Seidl. Seidl ist die Leiterin der Forschungseinheit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Eidg. Forschungsanstalt WSL in Birmensdorf. Die Schweiz will bis 2050 klimaneutral werden, ohne beim Wohlstand Abstriche zu machen. Kann das klappen? «Es kommt darauf an, was man unter Wohlstand versteht. Für das hohe Bruttoinlandprodukt bezahlen wir bereits heute einen hohen Preis: Wir haben Arbeitsstress, Lärm- und Luftbelastung und zunehmende Gesundheitsprobleme. Mehr Wohlstand und Zufriedenheit entsteht heute aber nicht mehr durch die Steigerung der Produktion.» Umweltministerin Simonetta Sommaruga und EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen versprechen aber weiterhin Wachstum, grünes Wachstum. «Ein grünes Wachstum der Wirtschaft als Ganzes gibt es nicht. Es ist zwar so, dass beim Umbau zu einer grünen Wirtschaft gewisse Bereiche wie der öffentliche Verkehr oder die Elektromobilität wachsen. Aber parallel dazu braucht es einen Rückgang des Ressourcenverbrauchs in anderen Bereichen. Das ist bis heute kaum der Fall. Parallel zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs muss der Privatverkehr zurückgehen. Mit der Zunahme erneuerbarer Energien muss der Verbrauch fossiler Energien reduziert werden.» Braucht es Verbote von Autos in den Städten, wie dies die Bevölkerung von Basel soeben ab 2050 beschlossen hat? «Eigentlich nicht. Im Jahr 2050 wird es mit Ausnahme von Oldtimern sowieso keine fossil betriebenen Autos mehr geben. Ein Vergleich der Aktienkurse deutscher Autohersteller mit Tesla zeigt, … → Weiterlesen

Gemeinsam ökologisch bauen

Die Baubranche ist ein bedeutender wirtschaftlicher Faktor, gehört aber auch zu den besonders ressourcenintensiven Industriesektoren. Die Biodiversität kann volkswirtschaftlich nicht klar quantifiziert werden, bildet jedoch die Grundlage unseres Lebens und damit auch unserer Wirtschaft. Wie passt das zusammen? Was braucht es, dass Gebäude in einem umfassenden Sinn nachhaltig sind und keine Altlasten werden, die wir nachkommenden Generationen hinterlassen? Wenn man sich im Siedlungsgebiet umschaut, hat man nicht den Eindruck, dass Biodiversität im Bauwesen von Bedeutung ist. Unsere Gesundheit sowie Wohlfahrt, Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz basieren jedoch auf widerstandsfähigen Ökosystemen und einer hohen biologischen und landschaftlichen Vielfalt. Deren nachhaltige Nutzung dient also letztlich der Erhaltung unserer Lebensgrundlagen. Wie können wir nun bauen, dass Gebäude und ihre Umgebung den Bewohnern sowie Tieren und Pflanzen vielfältige Lebensräume bieten? Was sind Trends, Chancen, aber auch Herausforderungen? Damit Biodiversität und Bauen Hand in Hand gehen, braucht es grundsätzlich das Bewusstsein und den Willen der Beteiligten, sich dafür einzusetzen. Eine ganzheitliche Systemsicht sowie transformative Kräfte aus Politik, Wirtschaft, Forschung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft sind hilfreich. Zur Umsetzung gehören verschiedene Instrumente wie Gebäudestandards für eine umfassende Umweltverträglichkeit, Partizipation oder die integrale Planung von vielfältigen Grünräumen. Chancen liegen dabei in widerstandsfähigen Strategien, in der inter- und transdisziplinären Zusammenarbeit sowie in der Stärkung des Vorsorgeprinzips. Bauen geschieht immer in einem Kontext und widerspiegelt Entwicklungen auf unterschiedlichen Ebenen. Globale Megatrends wie Mobilität, Digitalisierung, Migration und Urbanisierung zählen ebenso dazu wie nationale wirtschaftliche, soziale und ökologische Strömungen. Diese Entwicklungen werfen zahlreiche Fragen auf: Wie sollen Gebäude und Freiräume aussehen und was … → Weiterlesen

Das Rätsel der Ankunft

Wo treibst du dich gerade rum? Das ist die erste Frage, die Freunde mir stellen, wenn sie mir eine Nachricht schreiben. Bekannte wünschen mir alles Gute zum Geburtstag mit dem Beisatz «… wo auch immer du gerade bist». Es gab Monate im vergangenen Jahr, in denen ich nie länger als fünf Tage am gleichen Ort und die Butter in meinem Kühlschrank immer ranzig war. Ich bin nicht die Einzige, die so lebt. Wenn ich mit Freunden spreche, erzählen sie zuerst von ihrem Yogatrip nach Bali oder wie sie sich in Kalifornien selbst gefunden haben. Wenn ich durch meinen Instagram-Feed scrolle, sehe ich sie auf Partys in Argentinien oder surfend an der Küste Portugals. Aus einer Umfrage der Unternehmensberatung Deloitte geht hervor, die Welt zu entdecken sei das oberste Ziel der Generation Y – dazu gehören Personen der Jahrgänge 1981 bis 1998, also auch ich. Wir wollen in Indien Elefanten sehen und in Australien arbeiten, bevor wir uns auf einen Ort festlegen, an dem wir die Windeln unserer Kinder wechseln. Wir wollen etwas erleben, bevor wir ankommen. Wenn ich in diesem Text «wir» schreibe, dann meine ich in erster Linie uns Millennials – also die Generation, von der es heisst, sie gehe Entscheidungen gern aus dem Weg und halte sich alle Möglichkeiten offen. Die Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen: Im Jahr 2015 legte ein Schweizer im Durchschnitt 24’849 Kilometer zurück, fast die Hälfte davon im Ausland. Am meisten Kilometer im Jahr erreichen 25- bis 44-Jährige, sie fahren durchschnittlich 31’335 Kilometer, … → Weiterlesen

Demokratie in Zeiten der Konfusion

«Die Entzauberung der Demokratie als Herrschaftsform hat durch die globalen Krisen der gegenwärtigen Epoche eine systemgefährdende Qualität erreicht.» Dies der Klappentext des Buches Demokratie in Zeiten der Konfusion von Helmut Willke, einem Professor für Global Governance. Bedeutung hat das Wirken Helmut Willkes für die soziologische Systemtheorie. Diese hat den Anspruch, eine Theorie im Sinne eines umfassenden Theoriegebäudes für alle Formen von Sozialität (Zweierbeziehung, Gruppe, Familie, Organisation, Funktionssystem, Gesellschaft) zu sein. Das «Umweltdorf» ist auch eine Form, wenn auch eine noch hypothetische Form von Sozialität. In einem der ersten Gespräche über dieses Projekt sagte Nadine, es klinge schon etwas jöö, dieses Wort. Das ist beabsichtigt. Thema und Stossrichtung haben auch mit Soziologie, also der Wissenschaft, die sich mit der theoretischen Erforschung des sozialen Verhaltens befasst, zu tun. Und, wie es der Name sagt, mit den aktuellen Diskussionen rund um unsere Umwelt und das Klima. Wir lassen uns aber auch leiten durch den Gedanken, dass Werte, individuelle Werte und Wertesysteme in Gruppen eng verknüpft sind mit den Emotionen des Menschen. Doch dazu später mehr. «Das Dorf», die menschlichen Beziehungen stecken in einer Krise. Globalisierung und die Digitale Revolution führen zu einer Form der Gesellschaft hin, die sich erst am Horizont abzeichnet. Und zusammengebraut hat sich darüber, bildhaft, die Klimakrise. Dies ergibt eine nicht nur sehr anspruchsvolle, sondern offensichtlich eine das Individuum und absehbar die Gesellschaft überfordernde Umwelt. Ja, das System, die Systeme sind gefährdet. Nicht nur die Demokratie ist gefährdet. Die Spezies Mensch als vermeintliche Krönung der Schöpfung scheint gefährdet zu sein. … → Weiterlesen